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Kurz berichtet

Ökologische Trauer und Open Schooling

By Dezember 2022No Comments

Kann Open Schooling als eine neue Form des MINT-Lehrens und -Lernens dazu beitragen, ökologische Trauer zu bewältigen?

von Sabrina Deck, Elena Köck, Sabine Mickler & Katja Maass

Ökologische Trauer

Ökologische Trauer ist „Trauer, die in Bezug auf erfahrene oder erwartete ökologische Verluste empfunden wird, einschließlich des Verlusts von Arten, Ökosystemen und bedeutungsvollen Landschaften aufgrund von akuten oder chronischen Umweltveränderungen“ (Cunsolo & Ellis 2018, S.275). Symptome sind vor allem traumatische Zustände durch den Verlust von z.B. Heimat, Ökosystemen oder Tierarten, Trauer durch Gefühle von Ohnmacht, Ignoranz und Inkompetenz und daraus resultierende Identitätskrisen, sowie Angst vor (möglichen) drohenden Umweltkatastrophen und deren Folgen.

Abb. 1: Handlungsfelder zur Bewältigung von ökologischer Trauer.

Die Rolle der MINT-Bildung im Kontext von ökologischer Trauer

Unter den sechs von Cunsolo et al. (2020) identifizierten Handlungsfeldern zur Bewältigung von ökologischer Trauer gibt es drei, bei denen die MINT-Bildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) eine Rolle spielen kann (siehe Abb. 1).

Handlungsfeld 1: Konzentration auf das familiäre und soziale Umfeld der Betroffenen. So werden sie darin unterstützt, ihrerseits Betroffene zu unterstützen und Herausforderungen gemeinsam und offen anzugehen (Clayton et al. 2017). Dies kann in kooperativen und partizipativen Projekten umgesetzt werden.

Handlungsfeld 2: Einbindung der Betroffenen in Initiativen und Projekte, die aktiv etwas gegen den Klimawandel und seine Folgen tun. Vielfältige und neue MINT-Kompetenzen sowie eine positive(re) Selbstwahrnehmung können hier gezielt Gefühlen wie Inkompetenz oder Ohnmacht entgegenwirken.

Handlungsfeld 3: Betroffene zusammenbringen und Austausch fördern (z.B. durch Projektarbeit, vgl. Handlungsfeld 2). Auf diese Weise können sich die Betroffenen gegenseitig unterstützen und gemeinsam Lösungsstrategien erarbeiten.

Open Schooling, ein neuer Rahmen für die praktische Umsetzung von MINT-Bildung, bietet hier vielversprechende Ansatzpunkte.

Abb. 2: Der Open Schooling Prozess mit seinem Effekt auf ökologische Trauer.

Open Schooling im Kontext von ökologischer Trauer

Die Idee hinter Open Schooling ist es, die Zusammenarbeit zwischen Schulen und externen Akteur*innen, z.B. Familien, Bürger*innen und Unternehmen in einer Region, zu stärken. Dazu werden gemeinsam Projekte zu MINT-Themen bearbeitet, die für die Entwicklung der Region vorrangig relevant sind, z.B. in Bezug auf Umwelt oder Demografie. Der Fokus liegt auf dem Durchlaufen, Gestalten und Verstehen von wissenschaftsbasierten Prozessen. Die Fokussierung auf gleichberechtigte Zusammenarbeit, spezifische Kompetenzentwicklung und ökologische Themen bietet für alle drei Handlungsfelder Ansatzpunkte zur Bewältigung ökologischer Trauer.

Das EU-Förderprojekt MOST als erfolgreiches Praxisbeispiel

Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts MOST (Meaningful Open Schooling Connects Schools to Communities) wurden bereits mehr als 265 Open Schooling Projekte in zehn europäischen Ländern durchgeführt. Ökologische Themen waren ein zentrales Thema dieser Projekte. Im Rahmen des Projekts haben sich zwei methodisch-didaktische Ansätze herauskristallisiert, die auch bei der Behandlung von ökologischer Trauer von großer Bedeutung sein können:

Co-Creation: Die Projekte setzen auf die aktive Beteiligung aller Beteiligten. Der Fokus liegt auf einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe (vgl. Roche et al. 2020). Auf diese Weise können sich die von ökologischer Trauer Betroffenen wahrgenommen fühlen und erkennen, dass sie selbst etwas für ihr Leben, die Umwelt und die Gesellschaft tun können.

Forschendes Lernen in realen Kontexten: Die Teilnehmer werden angeleitet, reale Probleme zu erkennen und mit wissenschaftlichen Mitteln nach Lösungen zu suchen. Dies kann sich positiv auf ihren Kompetenzerwerb, ihre Selbstwahrnehmung und ihre Motivation auswirken (vgl. Maaß & Artigue 2013).

Fazit

Die Anknüpfung an die bildungsbezogenen Handlungsfelder für ökologische Trauer von Cunsolo et al. (2020) erfolgt bei MOST in mehrfacher Hinsicht:

  • Zusammenführung und Vernetzung verschiedener Personengruppen und Betroffener, Erreichen eines Wir-Gefühls (vgl. Handlungsfeld 1 und 3)
  • Zusammenarbeit auf Augenhöhe (vgl. Handlungsfeld 2 und 3)
  • Aneignung von Wissen, Orientierung und Verständnis für MINT-Themen, gesellschaftliche sowie ökologische Entwicklungen (vgl. Handlungsfeld 2)
  • Sinnstiftung, Motivation und das Erleben von Selbstwirksamkeit (vgl. Handlungsfeld 2)

MOST hat gezeigt, dass bereits bei den jungen Teilnehmer*innen das Verständnis für MINT-Themen vertieft und die Selbstwirksamkeit in Bezug auf MINT-Themen gesteigert werden konnte. Open Schooling kann also bei der Bewältigung von ökologischer Trauer helfen und Schüler*innen dabei unterstützen, ihr Potenzial zu verstehen, etwas gegen ihre durch ökologische Trauer ausgelösten Gefühle zu tun. Aus diesem Grund sollte Open Schooling in Zukunft viel stärker in den Fokus gerückt werden, um die aktive Teilnahme an ökologischen und sozialen Themen zu fördern.

References

Clayton S., Maning C., Krygsman K., Speiser, M. (2017): Mental health and our changing climate: impacts, implications, and guidance. Washington, DC: American Psychological Association and EcoAmerica. ­

Cunsolo, A., Ellis, N.R. (2018): Ecological grief as a mental health response to climate change-related loss. Nature Clim Change 8, 275–281.

Cunsolo, A., Harper, S., Minor, K., Hayes, K., Williams, K. & Howard, C. (2020): Ecological grief and anxiety: the start of a healthy response to climate change? The Lancet Planetary Health. 4. e261-e263.

European Commission (2020): European Commission Decision C(2020)6320 of 17 September 2020, EN Horizon 2020 Work Programme 2018-2020 16. Science with and for Society. Online verfügbar unter: https://ec.europa.eu/research/particpants/data/ref/h2020/wp/2018-2020/main/h2020-wp1820-swfs_en.pdf (zuletzt geprüft am 1.10.2022).

Maaß, K. & Artigue, M. (2013). Implementation of inquiry-based learning in day-to-day teaching: a synthesis. ZDM – The International Journal on Mathematics Education, 45(6), 779–795.

Roche, J. et al. (2020): Citizen Science, Education, and Learning: Challenges and Opportunities. Frontiers in Sociology 5, 12/2020.